Ein Preuße auf der Weltausstellung

Der Löwenkämpfer vor dem Alten Museum

Die unglaubliche Geschichte des dreifachen Löwenkämpfers: Von Vitamin-B in der Bildhauerschule, zwei Jugendfreunden, die Preußen verschönern, über die Karriere eines Brüderpaars in Übersee bis zur goldenen Krönung eines bayerischen Bewunderers

Was?

"Der Löwenkämpfer" 

Bronzeskulptur von Albert Wolff

Wo?

Vor dem Alten Museum Bodestr. 1-3, 10178 Berlin 

Wann?

1861



Wenn Sie in Ihrem Reiseführer nachlesen,

verrät er über den Löwenkämpfer vermutlich folgendes:

 

"Bronzeskulptur von Albert Wolff nach einem Entwurf von Christian Daniel Rauch, hergestellt von der Gießerei Hermann Gladenbeck, 1861 auf der westlichen Treppenwange vor dem Neuen Museum aufgestellt."

Mit viel Glück erfahren Sie auch noch, dass das Gegenstück auf der östlichen Treppenwange eine Amazone mit einem Panther darstellt, sich der Urheberschaft August Kiss' rühmen kann und beide Skulpturen jeweils "zwei bis drei Tonnen" wiegen.  Spätestens jetzt werden Sie vielleicht noch pflichtschuldig die Schönheit des plastischen Muskelspiels bewundern und dann zur nächsten Attraktion abwandern. Wer will es Ihnen übel nehmen, denn mit dieser furchtbar langweiligen Beschreibung hat man Sie um eine gute Geschichte betrogen!  Aber beginnen wir von vorn:

 

Wer ist dieser Albert Wolff und warum bildhauert er

nach einem Entwurf von Christian Daniel Rauch?

 

Die Antwort ist ganz einfach: Er war sein Angestellter und Ziehsohn. Und er wurde, wie wir gleich noch hören werden, WELTBERÜHMT. 

Albert, der im wunderschönen Neustrelitz (ein Ausflug lohnt sich!) aufwuchs, war der zweite Sohn des Bildhauers Christian Philipp Wolff, der Ihnen sicherlich etwas sagen wird, wenn Sie Neustrelitz dann besucht haben.  Dieser Christian Philipp ist in seiner Jugend Seite an Seite mit Christian Daniel Rauch in die Bildhauerlehre zu Friedrich Valentin gegangen. Falls Ihnen das jetzt zu viele Namen waren, vergessen Sie den letzten, denn Valentin war recht "glücklos" in Geschäftsdingen und hatte schon bald nicht mehr genügend Aufträge, um seine Lehrlinge zu beschäftigen. 

Die beiden Christians, die jeder zu Beginn ihrer Lehre übrigens erst zarte 13 Jahre alt waren, das übliche Eintrittsalter für Lehrberufe im 18. Jahrhundert, wurden enge Freunde. Während Christian Daniel bei Schadow weiterlernte und am preußischen Hof in Berlin Karriere machte, ließ sich Christian Philipp in Mecklenburg nieder und räumte erstmal kräftig um. Als "Mecklenburg-Strelitzscher Baukondukteur" gehen unter anderem der Luisentempel in Hohenzieritz, das Palais der Prinzessin Friederike, der Pulverturm, das Palais Neubrandenburg und der Umbau des Schlosses Neustrelitz auf sein Konto. 

1810 sollten die Freunde noch einmal anlässlich eines traurigen Ereignisses zusammenarbeiten: Christian Philipp Wolff fertigte die Totenmaske der jung verstorbenen Königin Luise, nach der Christian Daniel Rauch ihr Grabdenkmal gestaltete.  

 

Zehn Jahre später verstarb Christian Philipp Wolff und hinterließ vier minderjährige Kinder, darunter den künstlerisch begabten Albert. Christian Daniel Rauch, mittlerweile ein sehr berühmter Künstler mit besten Kontakten zum Königshaus, holte 1831 den damals 15jährigen Albert in seine Werkstatt zur Ausbildung. Er kümmerte sich um den Sohn des Freundes, erkannte sein enormes Talent und ermöglichte ihm später einen Italienaufenthalt in Carrara, um Skulpturen für Sanssouci in Marmor zu fertigen. 

 

Wenn Sie Ihren Reiseführer aufmerksam gelesen haben, wird Ihnen sicherlich etwas aufgefallen sein: Unter "Altes Museum" steht als Erbauungsdatum 1830, als Albert Wolff noch an Muttis Küchentisch in Neustrelitz seine Volksschulhausaufgaben machte. Die Figuren auf den Treppenwangen sind aber 1842 bzw 1861 aufgestellt worden, die letztgenannte demnach erst nach dem Tode Christian Daniel Rauchs? Also, was war da los? 

Tatsächlich hatte Karl Friedrich Schinkel, der Architekt des Alten Museums (welches 1830 freilich noch das "Neue Museum" war), besagte Treppenwangen als Podeste für Reiterstandbilder, ähnlich denen auf dem Museumsdach, angelegt. Zu sehen ist seine Vision in zahlreichen Zeichnungen und Bauskizzen.

 

Aber weshalb hat es so lange gedauert, die Skulpturen anzubringen?

 

Nun, ich würde Sie gerne darauf hinweisen, dass Bauphasen in Berlin traditionell etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen, aber in diesem Fall gab es ausnahmsweise einen Grund. Der Vormärz, gipfelnd in der Märzrevolution von 1848, hatte Preußen erreicht und auch ein Thronwechsel 1840 und damit einhergehende Kämpfe um Landtag und Verfassung verdrängten die Fertigstellung des Museumstreppenschmucks von der Dringlichkeitsliste. 

Davon abgesehen gab es ästhetische Differenzen: Die Figurengruppen entfesselten mit ihrer ungezügelten Dramatik einen wahren Kunststreit, an dessen Schlusspunkt sich der König weigerte, mehr als das Modell zu bezahlen. Es musste zur Finanzierung also erstmal ein privater Förderverein gegründet und die nötigen Mittel zusammengetrommelt werden. "Charity" heißt das heute. 

In der Zwischenzeit konnte sich Albert, der Schöpfer des Löwenkämpfers, erstmal einen Namen machen und verschönerte seit 1850 fürstliche Residenzstädte aus der eigenen Werkstatt. Hannoveraner kennen sein Reiterstandbild von Ernst August, das Sachsenross oder auch das Grabmal im Welfenmausoleum. Für die Potsdamer Friedenskirche fertigte er eine umfangreiche Bibelszene des betenden Moses und die Pallas Athene auf der Schlossbrücke ist ebenfalls von ihm. 

 

Sein moderner "Schwung" und die detailverliebte Linienführung kam so gut an,

dass sogar Fans aus Übersee auf seine Werke aufmerksam wurden: 

 

1889 kaufte die Fairmount Park Art Association einen Originalgipsabdruck des Löwenkämpfers aus der Werkstatt des alternden Meisters, zusammen mit einem Gipsabruck der Amazone (von der gegenüberliegenden Treppenwange, wir erinnern uns!), verschiffte beide über den Ozean und stellte sie in der Memorial Hall von Philadelphia zur öffentlichen Besichtigung aus. 

Obwohl beide Werke zu diesem Zeitpunkt schon über 40 Jahre alt waren und auf den wechselhaften Berliner Zeitgeschmack schon etwas "altbacken" wirkten, erregten sie in Amerika großes Aufsehen und viel Bewunderung. Doch damit war der Siegeszug des Löwenkämpfers noch lange nicht vorbei!

 

Falls Sie sich an dieser Stelle über die Gipsversionen wundern: Das war gängige Praxis für die Vervielfältigung von Skulpturen. Gips ist ein kostengünstiges und mit 0,34 Tonnen/m³ ein sehr leichtes Material.  Die Kunstwerke wurden als Gipsabdrucke an ihre Ziele verbracht und vor Ort in Metall nachgegossen. 

Zwei Zinkgießer, die sich besonders mit der Nachbildung europäischer Klassiker in der Neuen Welt einen Namen machten und im Laufe ihrer Geschäftstätigkeit zu Amerikas erster Adresse in Sachen Skulpturen und Grabmälern avancierten,  waren die ursprünglich aus Frankreich stammenden "Bureau Brothers" Edouard und Achill. Diese wurden in Philadelphia auf die preußischen Meisterwerke aufmerksam und fertigten Bronzeabgüsse an, die sie 1893 auf der Weltausstellung in Chicaco einem faszinierten Publikum präsentierten. Verzeihung, das habe ich vielleicht zu salopp formuliert, um die Bedeutung zu verdeutlichen:  Sagenhafte 27 Millionen Besucher flanierten innerhalb von nur sechs Monaten an der Replik vorüber und staunten ob der Schönheit und Innovation des Zusammenspiels aus Rauchs Entwurf und der Ausführung seines fähigen Schülers.  Lion Fighter goes World Fame! 

 

Nach seiner Rückkehr nach Philadelphia wurde der Löwenkämpfer auf einem hervorstehenden Felsen am East River Drive installiert und 1929 auf die Stufen des Philadelphia Museum of Art verlegt, wo er - wie in Berlin - einen Bronzeguss des Amazone begleitet.

 

Das letzte Kapitel

 

Unter den Bewunderern der inzwischen weltberühmten Skulptur befand sich auch ein sehr erfolgreicher bayerischer Immigrant, dem es der Löwenkämpfer ganz besonders angetan hatte. Franz Zirnkilton war ein Goldschmied aus dem beschaulichen Passau in Bayern, der 1875 anlässlich der allerersten amerikanischen Weltausstellung 1876 nach Philadelphia kam und "hängenblieb". Schon in Europa hatte er hohes Ansehen genossen und zu Beginn seiner Karriere Schmuck für den österreichischen Hochadel gefertigt. In Amerika gründete er 1880 seine eigene Firma und schuf einige der besten Schmuckstücke der Stadt. Seine Kunden hielt er stets geheim, aber es wurde gemunkelt, dass sie zu den reichsten Familien der Welt gehörten. Zirnkiltons besondere Marketing-Strategie bestand darin, dass er nie Werbung machte - ein sehr ungewöhnliches Verhalten für amerikanische Unternehmer. Damit erweckte er den Eindruck, so exklusiv zu sein, dass er sich nicht um knallige Eigenpromotion kümmern musste. 

Zirnkilton erschuf 1925 den dritten und letzten Abdruck des Preußischen Löwenkämpfers: in seinen fähigen Händen entstand ein Briefbeschwerer mit einer Miniatur der Wolff-Plastik aus reinem Gold, die auf einem Art-Deco-Sockel aus glänzendem Hämatit steht, welchen er mit dem Wappen der Stadt geschmückt hat, der er so viel verdankte: "PHILADELPHIA MANETO", Philadelphia bleibe, steht in winzigen Buchstaben auf einem Banner zu Füßen der Wappenträgerinnen. 

So kulminierten die Ästhetik des 19. und 20. Jahrhunderts, die Traditionen einer angesehenen Bildhauerschule, das "Brüderpaar" der Löwenkämpfer in Deutschland und den USA, die Lebenslinien tapferer Auswanderer und die Kernaussage des Motivs in 12 Zentimeter Edelmetall: 

 

Wenn Du genügend Mut hast, kannst Du auch gegen Löwen antreten. 

 

https://philamuseum.org/collections/permanent/258991.html


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