Dauerrummel im Grunewald

Lunapark Terrassen am Halensee

Schießbuden und Rutschbahnen belustigen die teuerste Wohngegend Berlins. Ein großer Sohn der Stadt fährt auf dem Weg in sein Ministerium täglich daran vorbei - ob er wohl mal angehalten hat?

Was?

Luna-Park am Halensee

Wo?

Halensee, Berlin 

Wann?

1904, erweitert 1909

abgerissen 1933



 

Mit dem Automobil hätte Walter Rathenau von seiner Villa in der Koenigsallee 65 bis zum (ehemaligen) Kurfürstendamm 124, der Adresse des legendären Lunaparks, nur circa 6 Minuten gebraucht.

Etwa auf halber Stecke zwischen beiden Orten besuchte ich in den 1990ern das posthum nach ihm  benannte Gymnasium und habe mich oft gefragt, ob unser berühmter Namensgeber wohl Gast in diesem klatschumwobenen Etablissement am "oberen Ende" des Kurfürstendamms gewesen ist?

Der Lunapark, seinerzeit der weltgrößte Freizeit- und Vergnügungspark, der sich am Ostufer des Halensees innerhalb von zwanzig Jahren vom Ausflugslokal zum Sensationspark entwickelt hatte, konnte mit allerlei modernen Zerstreuungen und einem illustren Betreiber-Duo aufwarten:

Kein geringerer als August Aschinger eröffnete 1904 auf dem Areal des vormaligen "Wirtshaus am Halensee" gemeinsam mit Kempinski-Küchenchef Bernd Hoffmann seine "Terrassen", ein überdimensioniertes Ausflugslokal mit futuristischen Türmchen und einer riesigen, zum Badesee führenden Freitreppe. Für die Zerstreuung der sensationshungrigen Berliner sorgten Fahrgeschäfte, Völkerschauen, Revuetheater, Feuerwerk und ein Wellenbad, liebevoll "Das Nuttenaquarium" getauft. 

 

Als Walther Rathenau 1910 vom Tiergarten in den Grunewald umsiedelte, hatte der Lunapark bereits werbeträchtig seinen 1 Millionsten Besucher gekürt. 

Aber wird er,  Rathenau, der damalige Außenminister, in diesem Hochofen des "Amüsemangs" wohl einmal vorbeigeschaut haben?

Vielleicht hat er sich auf der über 1000 Plätze fassenden Terrasse niedergelassen, eine Berliner Weiße Grün getrunken, den distinguierten Stehkragen gelockert und sich das Getümmel zu seinen Füßen wohlwollend angesehen. 

Dass er selbst eines der frivolen Fahrgeschäfte ausprobiert hat, womöglich sogar in einem modisch gestreiften Herrenbadeanzug die Wasserrutsche heruntergeschossen ist, scheint unwahrscheinlich.

Sowohl an Einfluss als auch an finanziellen Mitteln einer der reichsten Männer seiner Generation, hatte der resolute linksliberale Politiker jederzeit Zutritt zum Kaiser und verkehrte eher in den gehobeneren Etablissements der Stadt. 

Der vermutlich homosexuelle Lebemann verstand sich als Grenzgänger und vereinte, sowohl im politischen Diskurs als auch seiner persönlichen Entwicklung, durchaus gegensätzliche Positionen.  Noch als Minister ging der AEG-Prinz jeden Mittag zu seiner Mutti zum Essen, umgab sich gerne mit Bohemians aus Malerei und Literatur und versuchte sich auch selbst als Schriftsteller philosophischer Texte.

 

Die zweite Blütezeit des Lunaparks in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts hat Walther Rathenau nicht mehr miterleben können. Am Morgen des 24. Juni 1922 gipfelten die antisemitischen Anfeindungen gegen ihn in einen feigen Mord  durch eine deutschnational-republikfeindliche Terrororganisation. Man erschoss ihn in seinem Automobil, etwa auf halber Strecke zwischen seiner Villa und dem Lunapark, nur wenige Schritte von meinem Gymnasium entfernt, das seit 1946 seinen Namen trägt. 

 

1933 fiel auch der Lunapark den Nazis zum Opfer. Seine "Dekadenz und Unmoral" passte nicht in ihre Vorstellung sittlich-arischer Volkserholung. 

von Kira Nothelfer

 


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