Die Gardeschützenkaserne in Lichterfelde
Die geschenkte Ritterburg wird für den Stifter fast zur Armutsfalle und beherbergt nacheinander Preußen, Nazis, Amerikaner und Nachrichtendienstler.
Was?
Gardeschützenkaserne
Wo?
Gardeschützenweg 71/101
12203 Berlin
Wann?
1884
"Mami, wieder eine Ritterburg!"
Mein Sohn ist begeistert. Wir sind unterwegs zu unserer Lieblingseisdiele und vertreiben uns die Zeit mit einer selbsterfundenen Abwandlung von Ich sehe was, was Du nicht siehst, genannt "Märchenhaus, Schloss oder Ritterburg". Ziel des Spiels ist es, möglichst viele Häuser zu finden, die optisch in eine der vorgenannten Kategorien passen und ich behaupte mal, dass dies nirgendwo in Berlin so leicht gelingt, wie in meinem Wohnviertel.
Ganz Lichterfelde misst gerade einmal 18,2 km², wovon der überwiegende Teil aus sehr gut erhaltenen historistischen Villen besteht. Hier trifft man auf urig-verwunschene Hexenhäuschen, Schweizerisch anmutende Chalets, Miniaturburgen mit Zugbrücken und Schornstein-Bergfrieden, elegante Jugendstilvillen und Italienisch angehauchte Palazzi. Einige der "großen Schlösser", darunter das Bundesarchiv, das Rother Stift und das Gebäude des BND, haben es meinem Junior besonders angetan. Das letztgenannte Objekt kann mit einer besonders spannenden Vergangenheit aufwarten:
Als der Kaufmann und Unternehmer Johann Anton Wilhelm Carstenn um 1870 aus zwei völlig unbedeutenden Bauerndörfern eine Villenkolonie für Berlins gehobenes Bürgertum stampfen wollte, brauchte er ein Zugpferd. Wenn wohlhabende Offiziere in sein modernes Quartier ziehen sollten, musste er ihnen auch den Weg zur Arbeit verkürzen und so überließ er kurzerhand dem preußischen Staat ein Grundstück zur Erbauung einer Kadettenanstalt und errichtete auf einem anderen eine Kaserne für das Gardeschützenbataillon.
Allerdings hatte sich Carstenn, wie man heute sagen würde, bei dieser Aktion "verzockt". Nicht nur das mehr als großzügige Geschenk von 92 Morgen Grund, sondern auch eine Unmenge angeknüpfter finanzieller Verpflichtungen brachten ihn fast an den Rand des Ruins. Nach stapelweisen Petitionen an den Reichstag und endlosen Prozessen, die bis zum Reichsgericht gingen, erstritt er als "verarmter Geschenkgeber" schlussendlich eine Jahresrente von 43.000 Mark sowie eine einmalige Abfindung von 180.000 Mark.
Dem mit rotem Backstein verblendeten Gebäudekomplex, über dessen Mittelrisalit sich majestätisch ein Hauptturm mit Kegeldach erhebt, war in den 130 Jahren seines Daseins ein illustrer Mieterkreis vergönnt. Zunächst vom preußischen Gardeschützenregiment genutzt, zog 1929 die Heeresfeuerwerksschule auf das Gelände. Die Wehrmacht erweiterte das Areal von ursprünglich 60.000m² auf 80.000m² nach Süden. 1950 bekam die Anlage ihren neuen Namen "Roosevelt Barracks" und wuchs unter dem Star Spangeled Banner um weitere 5.000m² an. Als Untermieter fanden sich in den Nebengebäuden sowohl die Berliner Polizei als auch das technische Hilfswerk ein, bis der Abzug der Amerikaner Platz machte für Bundeswehr und das Bundesaufsichtsamt für Kreditwesen. Seit 2003 residiert nun der BND in der "Ritterburg" und verleiht ihr durch umfangreiche Zugangssicherungen einen geheimnisvoll-abenteuerlichen Charakter. Zumindest in den Augen meines Vierjährigen!
Wenn Sie nicht nur bei "Märchenhaus, Schloss oder Ritterburg" mitspielen, sondern auch die spannenden Geheimnisse hinter den phantasievollen Villen erkunden möchten, empfehlen wir Ihnen unsere Stadtführungen!
Hat Ihnen der Artikel gefallen? Dann besuchen Sie gerne unsere Führungen, es gibt noch viele spannende Geschichten zu erzählen! Wir freuen uns auf Sie!
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Bildnachweis: Fotografie, Privatbesitz